Duell der Verkehrsverbünde

Roberts Kolumne am 24. September 2008

Mitten durch Hessen verläuft ein Vorhang, ein unsichtbarer zwar, aber trotzdem eisern. Er trennt das Bundesland in Nord und Rhein-Main; in beiden Teilen herrschen unterschiedliche Philosophien der Fortbewegung, und solange man in (s)einer Hälfte bleibt, gibt es auch keine Probleme. Nur beim Passieren der ideel stark befestigten Grenze zwischen den Lagern RMV und NVV wird wie im Mittelalter „Wegzoll“ fällig – oder man fährt so schnell, dass die Grenzer einen nicht sehen können.

Was war das früher noch einfach, als die Bahn öffentlich-rechtlich, die Züge nicht alle zwei Jahre neu lackiert, der Kunde noch ein Beförderungsfall und das „Tarifsystem“ einfach und ungerecht war. Tarifsystem wäre meiner Meinung nach ein schöner Kandidat für das Unwort des Jahres – genau wie Bedienungszuschlag – dazu aber später mehr. Man kaufte jedenfalls eine Fahrkarte multipliziert mit der Streckenlänge. Einfacher geht es wohl kaum und angeblich funktioniert das bei den Schweizern noch immer. Aber wie wir gerade bei den Banken oder im Gesundheitssystem sehen, kann und weiß der allmächtige Markt alles besser und so ist Bahnfahren heute ein Abenteuer, das bereits beim Kauf der Fahrkarte („Ticket“) am Schalter („Counter“) oder mit Bedienhilfe („Automatenguide“) beginnt und erst am planmäßigen Zielort mit dem Ausstieg in Fahrtrichtung links oder rechts endet. Die hervorgehobenen Worte im vorigen Satz sollen übrigens darauf hinweisen, dass das Unternehmen Deutsche Bahn heißt. Weitere „deutsche“ Begriffe werden im Laufe dieser Kolumne immer wieder fallen. Dass man für so wenig Geld so viel Spaß und Action erleben kann, ließ die zwei großen hessischen Verkehrsverbünde nicht ruhig schlafen und so beschlossen sie voller Neid, den Ex-Staatsmonopolisten zu toppen.

Und man glaubte kaum, wie einfach sich dies verwirklichen ließ: Man schottete sich gegenseitig ab, führte zwei vollkommen unterschiedliche und inkompatible Reisekulturen ein und versteckte für die Pendlerschnitzeljagd noch ein paar Nüsse. Die Botschaft dahinter war: Reisender („Schuster“) bleib bei deiner Heimat („deinen Leisten“), nur durch's ganze Hessenland wird nicht gereist – zumindest nicht für wenig Geld und ohne Umstand. So kam es dann, dass man bestimmte Verbindungen legal nur in einer Richtung oder nur mit mehrstündiger Fahrtunterbrechung fahren kann. Da man bei der Bahn Verspätungen und Umstände kennt, dürfe dem Fahrgast das bei uns nicht fehlen, so die verfeindet koalierenden Verkehrsverbünde. Aber sie hatten natürlich die Rechnung ohne den Wirt, die Deutsche Börsenbahn, gemacht: Mit dem Schachzug des „Städte-Spezials“ war es auf einmal günstiger, einfacher, schneller und bequemer möglich, durch's Hessenland zu reisen, als für viel Geld mit Fahrtunterbrechungen in Regionalzügen durch die Landschaft zu zuckeln – aber nur, wenn man die Fahrt mindestens drei Tage vorher im Internet oder am Automaten für eine ganz besimmte Verbindung bucht (Zugbindung) oder am Schalter wahlweise fünf (!) Euro Aufschlag zahlt. Damit konnt der immer-noch-Staatskonzern den Lokalfürsten wieder einmal die lange Nase zeigen und griff zudem das komplette Fahrgeld des Kunden ab, der sogar ICE fahren durfte.

Aber heute ist es natürlich viel besser und schöner und überhaupt als zu Zeiten der Behördenbahn und ich müsste nicht eine Stunde durch den Bahnhof rennen, bis ich eine (günstige) Verbindung für meine Reise finde.

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